(Sämtliche unsere Fotos zum WGT sind auch in unserer Galerie zu finden.)
Zum 25-Jahre-Jubiläum hat sich das Wave-Gotik-Treffen eine spezielle Eröffnungsfeier im "AbenteuerReich Belantis", einem Vergnügungspark im Leipziger Süden, einfallen lassen. Anhänger einer düsteren und oft melancholischen Subkultur an einen Ort des Spasses einzuladen, vermag im ersten Moment etwas paradox erscheinen. Da jedoch die Selbstironie zuweilen ein wichtiges Element der Szene ist und der Anlass aufgrund der seltenen Kulisse durchaus Potenzial für einen erinnerungswürdigen Abend hatte, sprach kaum was dagegen, sich auf dieses Wagnis einzulassen. Im Notfall hätte man immer noch darauf hoffen können, als kollektive Tristesse über das Land Belantis einzubrechen, auf dass kein Spross an Freude jemals mehr dort gedeihen möge.
Der Abend verlief dann aber äusserst undramatisch, sehr friedlich und wurde dem 'T' in WGT definitiv gerecht. Der Anlass war gut besucht, ohne überfüllt zu wirken. Überall konnte man grosse und kleine Gruppen im regen Austausch beobachten, welche die acht Themenwelten des 27 Hektar grossen Parks erkundeten. Auch wer die Bahnen nicht besuchte, musste sich keineswegs langweilen, sondern konnte sich an der friedlichen Atmosphäre erfreuen oder eine der vier Tanzflächen aufsuchen, welche in unterschiedliche Stilrichtungen der schwarzen Vielfalt aufgeteilt waren. Um 22:50 gab es ein zehn-minütiges Feuerwerk zu bestaunen, mit welchem dann definitiv der Beginn dieses Jubiläums-WGTs eingeläutet wurde.
Die Eröffnungsfeier an diesem ungewöhnlichen Ort war auf jeden Fall geglückt.
Am Freitag führte die Wahl für die ersten Konzerte zum Volkspalast. Den dortigen Abend eröffnete Triarii, welches sicher zu den bekanntesten Projekten im Bereich des Martial Industrials gehört. Thematisch oft in antiken Kriegsgeschichten unterwegs wurde eine Klangwelt erschaffen, welche wohl perfekt zum Tag des jüngsten Gerichts passen würde. Und was gibt es besseres, als mit "Lobliedern" auf des Ende der Welt in die Konzertbesuche am WGT zu starten.
Triarii - Emperor of the Sun
Anschliessend folgte der Auftritt von Dernière Volonté. Mit ihrer Mischung es Neofolk und poppigen Elementen zeigten sie, warum ihre Musik fast ein Muss im Set ein jeder guten Neofolk-Party ist. Nur war tanzen leider kaum möglich, da der Saal im Volkspalast wie auch schon zuvor bei Triarii bis in die hintersten Ränge gefüllt war.
Anwesend waren auffallend viele Besucher aus der Schwarzen Szene in der Schweiz.
Dernière Volonté - A bout portant
Als letztes Konzert des Tages war The Deadfly Ensemble eingeplant. Im bestuhlten Schauspielhaus, wo sonst meist ruhige und besinnliche Aufführungen stattfinden, wurden die Besucher eher mit gegenteiliger Szenerie konfrontiert. The Deadfly Ensemble sind irgendwo zwischen Deathrock und Dark Cabaret mit Punk-Einflüssen einzuordnen. Dem entsprechend viel Bewegung herrschte auf der Bühne. Und da die Band gleich noch ein paar Freunde mitbrachte, welche mit Foto- und Filmkameras den Auftritt festhielten und dabei mit auf der Bühne herumtollten, herrschte dort bald ein wildes Treiben, das es dem Zuschauer schwer zu erkennen machte, wer hier eigentlich genau wie mitwirkte.
The Deadfly Ensemble - John fall apart John
Anschliessend ging es zum Dunkelromantischen Tanz ins Haus Leipzig. Die Location ist ein Neubau und als solche neu als Veranstaltungsort dabei. Im Vergleich zum Stadtbad, wo im Vorjahr die Dunkelromantischen Tänze stattfanden, fehlt es dem Haus Leipzig definitiv an passendem Charme. Jedoch ist der Parkettboden massiv besser zum tanzen geeignet als der ausgerollte Teppich im Stadtbad. Und Sitzmöglichkeiten sind nun auch vorhanden, womit das Haus Leipzig schlussendlich keineswegs schlechter abschneidet. Etwas zur Party passende Deko hätte aber sicherlich nicht geschadet und dem Manko mit dem Charme entgegenwirken können.
Am Samstag ging es dann gleich wieder ins Haus Leipzig, diesmal aber nicht zum tanzen, sondern um einer der Lesungen von Christian von Aster zu lauschen. Als Autor mit einem äussert breiten Schaffensspektrum (Fantasy-Geschichten, Kinderbücher, Satire, uvm.) weiss man nie genau, welche Geschichten einem erwarten werden. Diesmal gab es eine Geschichte über die Verbindung zwischen Dracula und dem Weihnachtsmann, eine über eine arbeitslose Brieftaube und deren missglückte Versuche als Fotomodel, eine zweite Taubengeschichte über eine Taube, die sich für eine Fledermaus hält, und abschliessend eine Gruftie-Glosse zu den hohen Unterkunftspreisen am WGT und nervenden Normalo-Fotografen.
Weiter ging es dann in den Felsenkeller zu Other Day. Zuvor spielten noch Schwarzer Engel, welche einmal mehr ein Beweis dafür waren, dass es sich sehr lohnen kann, sich einfach mal eine Band anzuhören und anzuschauen, die man kaum oder gar nicht kennt.
Der Name klingt recht klischeevoll und der musikalische Mix aus Neue Deutsche Härte, Dark Metal und orchestralen Einflüssen erscheint im ersten Moment nicht besonders innovativ. Doch Schwarzer Engel machen daraus ihr ganz eigenes Ding und vermögen damit sehr zu überzeugen. Energiegeladen und mitreissend ist ihr Auftritt. Mit Texten über die Apokalypse und den Weltuntergang wird einmal mehr an diesem WGT das Ende unseres Daseins besungen - nur diesmal mit ganz anderen Klängen.
Schwarzer Engel - Hymne für den Tod
Other Day vermochten anschliessend das seltene Kunststück zu vollbringen, das Tempo massiv runter zu schrauben und dennoch die Spannung im Felsenkeller aufrecht erhalten zu können. Eine filigrane, grazile Mischung aus Klassik (Cello), Elektronik und Gitarre erfüllten eine der schönsten Locations am WGT. Allein schon der Sänger zog mit seiner mystischen Bühnenpräsenz in seinen Bann. Ausgeschmückt wurde der Auftritt mit den passenden Einlagen einer Tanztruppe.
Other Day - Meiner Flügel
Für das letzte Konzert dieses Tages ging es dann nochmals quer durch Leipzig ins Heidnische Dorf zu Estampie. Über 30 Jahre Bühnenerfahrung hat diese Formation - und das merkt man ihr an. Professionell und als Team eingespielt wirken sie. Sogar der Soundcheck hatte dank humorvollen Sprüchen durchaus einen gewissen Unterhaltungswert. Es folgte ein bezauberndes Konzert in den Stunden vor Mitternacht. Mit der Vielzahl mittelalterlicher Instrumente wurden Geschichten aus alten Zeiten besungen. Trotz den wärmenden Klängen machte sich die Kälte der Nacht langsam bemerkbar und auch das Wetter sollte sich nun leider ändern.
Estampie - Linden so grön
Am Sonntag war das Wetter extrem Wechselhaft. Regen und Sonnenschein wechselten sich derart schnell ab, dass sich kaum eine Prognose für die nächsten paar Stunden machen liess.
So ging es auf gut Glück erneut ins Heidnische Dorf zu Gernotshagen. Und tatsächlich endete ein starker Regenguss nur wenige Minuten vor Beginn des Konzerts. Falls sich bei irgendwem erste Festivalmüdigkeiten bemerkbar machten, wurden diese nun weggeblasen. Kraftvoller Pagan-Metal ertönte von der Bühne. Zwar setzte während des Konzertes teilweise wieder Regen ein, doch davon liess sich niemand vertreiben. Diesen Auftritt wollte man sich bis zum Ende ansehen.
Gernotshagen - Einsam
Auch sonst war das Heidnische Dorf an diesem Tage trotz des wechselhaften Wetters gut besucht.
Einer der Headliner spielte dann am Abend in der Agra-Halle - Lacrimosa. Schon seit den ersten WGTs sind sie regelmässig dabei und passten somit auch perfekt in diese Jubiläumsausgabe. Ein einzigartiger Stil aus einer komplexen und in all den Jahren sehr unterschiedlichen und vielseitigen Mischung aus Klassik und Metal macht diese Musik unverkennbar. Stets voller Dramaturgie nimmt einem Lacrimosa in melancholische Tiefen mit. Zur freudigen Überraschung wurden auch alte Lieder wie zum Beispiel Crucifixio gespielt, die sonst kaum live vorgetragen werden.
Dass Tilo Wolff stets gerne am WGT auftritt, war ihm anzumerken. Und so beendete er das Konzert dann schlussendlich auch mit den Worten "Vielen Dank, ihr wunderbaren, wunderschönen Menschen".
Lacrimosa - Crucifixio
Der Montag begann im Schauspielhaus mit Saeldes Sanc, welche Ernst Horn (Deine Lakeien) als Gastmusiker dabei hatten. Ihre Musik bezeichnen sie als Medieval-Experimental-Folk. Und das passt recht gut, denn sie klingen wirklich nicht wie irgend eine beliebige Folk-Band. Mit ihrem Arrangement aus zwei Flügeln, zwei Trommlern, einer Violine und zwei mal Gesang vermögen sie es, sich mit ihrem eigenen, sehr verspielten Stil abzugrenzen. Zwar holperte das Zusammenspiel teilweise etwas, was aber durch ein äusserst sympathisches Auftreten wieder wett gemacht wurde.
Saeldes Sanc - Des winters langiu naht
Das letzte Konzert für dieses WGT führte dann zum Kohlrabizirkus. Das Ich, welche schon beim ersten WGT dabei waren, füllten hier die Halle. Seit Stefan 2011 an einer Hirnblutung beinahe verstarb und laut Ärzten nie mehr in der Lage sein würde, auf einer Bühne zu stehen, wohnt jedem ihrer Auftritte etwas magisches inne. Denn, auch wenn er nicht mehr ganz so wild wie früher über die Bühne schreitet und tanzt, bleibt seine Körpersprache unverkennbar. Aber auch Brunos charismatische Wirkung hat nicht nachgelassen. Ihre Texte zeugen teilweise von tiefster Gesellschaftskritik. Jedoch nicht Wut oder Hass resultieren daraus, sondern Auftritte grösster Herzlichkeit. So bedankte sich Bruno bei den Anwesenden nicht nur für den Besuch dieses Konzerts, sondern auch ganz allgemein für das lebendige Aufrechterhalten der Szene - für das internationalen Publikum auf Englisch unter anderem mit den Worten "Thank you for all the diversity".
Das Ich - Destillat
Zum Abschluss ging es dann zur "Romantischen Tanznacht zum WGT-Abschluss" von der Blauen Stunde, welche eigentlich nicht Teil des offiziellen Programms ist. Hier treffen sich die Dunkelromantiker, die unabbringbaren Träumer. Bei Kerzenlicht im Innenhof oder dem Wohnzimmer tauscht man sich über das erlebte WGT aus. Oder man schwebt ein letztes Mal für diese Pfingsten über die (leider sehr kleine) Tanzfläche, die dort in nahezu kompletter Finsternis daherkommt.
Gerade das Tanzen kam persönlich dieses Jahr etwas zu kurz. Die beiden Dunkelromantischen Tänze (Fr, Sa) und der Göttertanz (So) vermochten alle drei nicht so sehr zu begeistern wie in den Vorjahren. Zu ruhig, zu langsam fiel die Auswahl der Musik aus.
Die Romantische Tanznacht der Blauen Stunde hat es noch etwas gerettet - auch wenn die dortigen Platzverhältnisse nicht mit denen im Haus Leipzig vergleichbar sind.
Schlussendlich war es aber insgesamt einmal mehr ein eindrückliches und lohnenswertes Wave-Gotik-Treffen. Auch nach 25 Jahren vermag dieses Festival seine Besucher in den Bann zu ziehen und stets musikalisch und (sub-)kulturell noch immer neue Eindrücke zu vermitteln. Die 23'000 Besucher aus allen Teilen der Welt zeugen von der grossen Beständigkeit dieser Bewegung.
"Vielen Dank, ihr wunderbaren, wunderschönen Menschen." / "Thank you for all the diversity."