ROME – "Hall Of Thatch" ab 19.1.

Nein, die Apokalypse ist nicht das Ende der Dinge, sie ist Teil der Schöpfung und ein immanenter Vorgang im ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen. Ein evolutionäres „Weiter So“, das uns Erlösung vorgaukelt, gibt es nicht. Auch wenn uns Jerome Reuter alias ROME auf „Hall Of Thatch“ zunächst nur mit Stimme und akustischer Gitarre gegenübertritt, wird vom ersten Ton an klar: Hier beginnt etwas Neues.

Wie ein mächtiges Gewitter zieht der Sound des Albums sich über den Pforten unserer Wahrnehmung zu. ROME ist wie Vergil, der den Hörer gleich Dante an die Hand nimmt und ihn durch die Sphären unserer Grundexistenz führt. Nur wären Kategorien wie Paradies, Hölle und Fegefeuer viel zu banal, um die Abgründe der Gegenwart zu beschreiben. „Hall Of Thatch“ hat eine große Wucht.

In der Vergangenheit nahm sich ROME hauptsächlich literarischer oder historischer Themen an, am besten in Kombination beider Aspekte. Jedes Album stand für sich, und doch ergab eines das andere. Auf „Hall Of Thatch“ verzichtet er zumindest vordergründig auf die bisherige Metaebene, um auf dem Umweg einer persönlichen Reise eine neue Metaebene zu finden. Die CD ist viel introspektiver und nachdenklicher. ROME steuert seine Barke auf einem dunklen Bewusstseinsstrom. „Auf den anderen zehn Alben nutze ich ja meist einen politischen, historischen oder philosophischen Kontext, um meine eigenen Querelen auszubreiten. Hier ist es mehr das Persönliche, aber eher auf metaphysischer, transzendentaler Ebene. Wohin passt der Körper im Bereich zwischen Geist und Welt? Es geht weder um Zeitgeschehen noch um Politik, sondern um einen Prozess von Erkenntnis, der noch lange nicht abgeschlossen ist.“
 
„Hall Of Thatch“ hat eine lange Vorgeschichte. Jerome Reuter hatte sich vor Jahren auf den Weg nach Vietnam begeben. Die Kultur und der Bezug zum Buddhismus faszinierten ihn ebenso wie die Lebensart der Menschen, die wirklich ein halbes Jahrhundert zuvor die Apokalypse erlebt hatten. In regelmäßigen Abständen gab er Konzerte im südöstlichsten Zipfel des asiatischen Festlands und fuhr im Anschluss auf dem Moped quer durchs Land. Er selbst nennt es seinen Field-Recording-Trip. Viele dieser Gesänge und Gebete fanden ihren Weg auf das Album und bildeten den Rahmen für die neuen Songs von ROME.
 
Nun heißt es ja immer, Buddhismus sei leicht. Bei aller Beschäftigung mit buddhistischen Gedanken ist „Hall Of Thatch“ trotzdem eine gregorianische Schwere eigen. Für Reuter besteht das buddhistische Element im erfolgreichen Kampf mit den eigenen inneren Dämonen. „Das Album ist nicht das friedvolle Endprodukt jenes Wesens, das man zu guter Letzt sein will, sondern es bringt den Kampf zum Ausdruck, der an diesen Punkt führt. In der Realität haben wir ja eher Schwierigkeiten loszulassen. Diese Verhandlung auf dem Weg von dem einen zu dem anderen Zustand versuche ich auf dem Album hörbar zu machen. Wo stehe ich, wer bin ich, wer will ich sein, wo will ich hin, und was muss ich dafür aufgeben? Die Songs sind die einzelnen Stationen dieser Reise. Der letzte Song ist friedlicher als die anderen. Da habe ich schon etwas erreicht. Es ist aber nicht der Gipfel des Mount Everest, sondern eher das Basislager. Über mehr kann ich nicht singen, denn weiter bin ich noch nicht.“
 
Um zu diesem Gipfel zu kommen, muss man manchmal durch die Hölle wie Dante an der Hand des Vergil. Der Grundton von ROME war schon immer massiv, doch so düster und wuchtig wie auf „Hall Of Thatch“ ging es noch auf keinem bisherigen Album des Projektes zu. Reuter räumt Lichtblicke ein, gibt aber auch zu, dass es diesmal kein Entrinnen gibt. Man kann sich in diese Musik nicht einfach fallen lassen. ROME vergleicht es mit einer satanischen Drehorgel, in die man reingeschmissen wird, ohne unbeschadet wieder rauskommen zu können. In dieser Hinsicht lässt sich das Album in eine Reihe mit Acts wie Wovenhand, Foetus, Swans oder Steve Von Till einordnen. Obwohl die neue CD auf den ersten Blick nichts mit aktueller Politik zu tun hat und schon gar kein Protestalbum ist, ergibt es doch einen sehr treffenden Soundtrack zu unserer Zeit. ROMEs Credo lautet, die Zeit der Banaliäten ist vorbei. „Die Musik ist frei von jeder Utopie oder anderen Werten, die Politik oder Geschichte liefern können. Die Ausgangslage ist hoffnungslos. Man kommt dem Zustand der Welt auf den üblichen Lösungswegen nicht mehr bei. Wir suchen nach neuen Erklärungen, können aber nichts an eine höhere Instanz abgeben, sondern müssen uns alle Antworten selbst erarbeiten. Das ist harte Arbeit, bei der man beide Füße im Dreck hat. In dieser Hinsicht ist das Album sicher eine Reaktion auf das, was gerade vor sich geht. Die meisten Krankheiten, die wir heute haben, sind politische Krankheiten. Wenn die Außenwelt zu krass wird, reagieren wir mit dem ganzen Körper und kollabieren.“
 
Wumm! Ein Statement wie ein Meteorit, dessen Einschlag die Erde in Dunkel hüllt. Das Album soll keine Flucht sein, betont Reuter. Trotzdem oder gerade deshalb wird ROME auch zum Phoenix. Indem er sich in und auf sich selbst zurückzieht, beschreibt er seine eigene Auferstehung. Dieses Moment verleiht dem Album die Kraft, Größe und Erhabenheit. Die Songs wirken wie eine gespannte Sehne, die darauf wartet, den Pfeil abzuschießen. Das mag wie ein Widerspruch in sich selbst anmuten, und es ist nicht das einzige Paradoxon dieser Platte. Der Luxemburger Reuter hat sich längst als überzeugter Europäer geoutet. „Hall Of Thatch“ ist nun das bisher amerikanischste seiner Alben, aber in diesem Amerikanischsein ist es wiederum sehr europäisch. Die CD beschreibt einen vorläufigen Endpunkt in der Entwicklungskurve von ROME und zugleich die Ausgangsbasis für Künftiges. Die Songs sind charismatisch, ohne missionarisch zu sein. Sie besingen tiefenpsychologisch den Zustand unserer Zeit, werfen sich aber weder zur Weltenrettung noch zur Weltenkündung auf. Sie sind infernalisch, aber zugleich sehr intim und verletzlich. Jerome Reuter kommt ohne jegliche Ecce-Homo-Pose aus. Letztlich ist es – wieder einmal – ein ebenso stringentes wie ergreifendes Werk eines Musikers, der sich von Platte zu Platte weiterentwickelt. So hat er den Mut zu sagen. „Das Album ist, was es ist. Daraus ergibt sich erstmal – Nichts. Ich habe alles gesagt und bin mit meinem Latein am Ende.“ Ein überaus stimmiges Fazit für ein Album, das buddhistisch ausgerichtet ist und gregorianische Grundzüge trägt.

 

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